PFAFFENHOFEN AN DER ILM – Mit fünf weiteren Veranstaltungen startete die Lesebühne am vergangenen Mittwoch erfolgreich in ihre zweite Runde. Neben der Abschlusslesung des Lutz-Stipendiums erwartete Literaturbegeisterte ein vielfältiges Programm mit Auftritten von Didi Dobra, Lena Schätte, Julia Engelmann und Andreas Pflüger. Den Abschluss der diesjährigen Lesebühne bildete ZEIT-Redakteur Henning Sußebach mit seinem Spiegel-Bestseller.
Töchter und Väter im Mittelpunkt
Unter dem Motto „Töchter und Väter“ standen zwei erzählerisch wie thematisch eindrucksvolle Bücher im Mittelpunkt. Lena Schätte schildert in ihrem autofiktionalen Roman eine Kindheit mit einem alkoholkranken Vater, während Didi Dobra in ihrem autobiografischen Werk von ihrem Aufwachsen als „eldest immigrant daughter“ einer slowakischen Migrantenfamilie in Wien berichtet. Bereits im Alter von sechs Jahren übernahm sie als Dolmetscherin viel Verantwortung für die gesamte Familie.
Durch den Abend führte Dorle Kopetzky, die in den Gesprächen präzise die Parallelen und Unterschiede der beiden Werke herausarbeitete. In beiden Büchern prägen Mütter ihre Töchter mit eindringlichen Leitsätzen. Schättes Protagonistin Motte lernt, dass „Schnaps Ärger bedeutet und Frauen Fluchtgeld brauchen“, während Dobra mit dem Satz „Wir springen nicht hoch, wir wollen nicht viel“ aufwächst – ein Ausdruck des Bemühens, nicht aufzufallen.
Persönliche Geschichten literarisch zu fassen
Beide Autorinnen betonten, wie viel Zeit es gebraucht habe, diese persönlichen Geschichten literarisch zu fassen. Schätte habe zunächst gezögert, sich einem gesellschaftlich sensiblen Thema wie Alkoholismus zuzuwenden und die passende Sprache dafür zu finden. Ihre Figur Motte erzählt ohne Vorwürfe und ohne ein Opfer-Täter-Schema zu bedienen. Auch Dobra berichtete, dass es Mut erfordert habe, die eigene Geschichte offenzulegen und literarisch aufzuarbeiten.
Julia Engelmann begeistert mit auswendigem Vortrag
Am Samstagabend präsentierte Julia Engelmann vor ausverkauftem Festsaal ihren Debütroman „Himmel ohne Ende“. Bernhard Heckler, Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, führte sympathisch und kenntnisreich durch den Abend. Zum Erstaunen des Publikums trug Engelmann all ihre Lesepassagen auswendig vor, so rhythmisiert und lebendig, als würde sie den Roman in diesem Moment entwerfen.
Die Handschrift der Schauspielerin und Poetry-Slammerin war unverkennbar. Die Geschichte der 15-jährigen stillen Teenagerin Charlie, deren einziger Freund lange ihr Meerschweinchen Markus bleibt, bis Kornelius, genannt „Pommes“, auftaucht, bot das ganze Spektrum an Gefühlen und brachte das Publikum immer wieder zum Lachen. Zum Abschluss trug Engelmann ihr bemerkenswertes Langgedicht „Eines Tages, Baby“ vor, mit dem sie als 20-Jährige beim Bielefelder Poetry-Slam ihren Durchbruch hatte.

Andreas Pflüger entführt in Geheimdienstwelt
Steffen Kopetzky moderierte den Abend mit Andreas Pflüger und gemeinsam nahmen sie das Publikum mit in den Prozess des literarischen Schreibens. Das Besondere bei Pflüger ist, dass er seine Romane komplett selbst setzt. Pflügers aktueller Kriminalroman „Kälter“ spielt im historischen Kontext des Mauerfalls in Berlin 1989. Die Protagonistin Luzy Morgenroth wird unvermittelt aus ihrem Alltag als Dorfpolizistin auf Amrum herausgerissen und stößt bei der Jagd nach dem Terroristen „Babel“ auf Verbindungen zur Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz durch die RAF.
Paula van Well präsentiert neuen „Zwischenfall“
Bei der Abschlusslesung des diesjährigen Lutz-Stipendiums stellte Paula van Well den in Pfaffenhofen entstandenen „Zwischenfall“ über die Kreisstadt vor. Nach der Begrüßung durch Bürgermeister Thomas Herker führte Kulturreferent Reinhard Haiplik in die Geschichte des Lutz-Stipendiums ein. Van Well präsentierte 25 „Zwischenfälle“, 25 als Miniaturen angelegte Kurztexte, in denen drei Charaktere aus ihrem aktuellen Romanprojekt die Kreisstadt besuchen.
Sußebach beschließt Lesebühne mit Familiengeschichte
Zur Abschlusslesung begrüßte Dorle Kopetzky ZEIT-Redakteur Henning Sußebach, der seinen Roman „Anna oder: Was von einem Leben bleibt“ vorstellte. Sußebach nahm das Publikum im nahezu voll besetzten Festsaal mit in die Welt seiner Urgroßmutter Anna und gestaltete seine Lesung teils interaktiv. Er stellte Fragen, suchte das direkte Gespräch und ließ die Zuhörer selbst entscheiden, wie viel er vom weiteren Verlauf preisgeben sollte.
Dabei zog er eindrückliche Parallelen zwischen Annas Lebenszeit von 1866 bis 1932 und der Gegenwart, insbesondere im Hinblick auf Selbstinszenierung und das Festhalten von Erinnerungen. Zudem gewährte Sußebach spannende Einblicke in seine Recherchearbeit und zeigte Fotos aus Annas Dorf Cobbenrode sowie den verschlüsselten Poesiealbumeintrag ihres ersten Mannes Clemens Vogelheim.

